Mitten im Leben: Woher kennen Sie beide sich und was haben Sie gemeinsam unternommen?
Aiman Mazyek: Ich habe die beeindruckende Frau Bischöfin auf der EXPO 2000 kennengelernt. Die Religionsgemeinschaften waren dort mit ihren Pavillons vertreten. Jede Religionsgemeinschaft hatte einen Ehrentag und wir waren von der Landeskirche eingeladen.
Margot Käßmann: Intensiv sind wir uns dann wieder 2017 im Zuge des Reformationsjubiläums begegnet. Aiman Mazyek hat mitgeholfen, dass das Thema Christen und Muslime eine Rolle gespielt hat.
A.M.: Die vorbereitende Arbeitsgruppe – mit Walter Homolka von jüdischer Seite – plante eine Ausstellung in einem Pavillon in Wittenberg. Dort veranstalteten wir u.a. ein Freitagsgebet.
M.K.: Und wir bauten das Berliner House of One en miniature vor.
Was verbindet Christen und Muslime?
A.M.: Sehr viel, vor allem auf kommunaler und regionaler Ebene. So hatte ich erst kürzlich die Gelegenheit, mit dem Berliner Bischof Markus Dröge im Interkulturellen Zentrum Genezareth in Berlin Neukölln die Orientierungshilfe „Dialog wagen, Zusammenleben gestalten“ für den christlich-islamischen Dialog vorzustellen. Es gibt Treffen auf der Spitzenebene, zum Beispiel EKD und Koordinationsrat, eine langjährige praktische Zusammenarbeit. Wir sorgen uns gemeinsam um den Zusammenhalt in der Gesellschaft, wie wir unsere Demokratie, unsere Vielfalt, die Religionsfreiheit, Menschenrechte, die Stellung der Frau stärken können. Da sind wir auch gemeinsam zunehmend in Sorge. Der Wahrheitsanspruch der jeweils anderen Religion fordert uns heraus, das Beste aus unserer Religion „herauszuholen“, wenn ich beispielsweise an die Bewahrung der Schöpfung denke. Dabei wollen wir uns ja nicht verstellen, sondern unser muslimisches bzw. christliches Bekenntnis erhalten. Das macht Dialog aus, dass nicht irgendwelche Themen ausgeklammert werden.
M.K.: Erst mal verbindet uns, dass wir religiöse Menschen sind. Es ist in Zeiten der Säkularisierung nicht selbstverständlich, dass Menschen an Gott glauben. Und unser Glaube richtet sich jeweils an einem Buch aus.
Was trennt die beiden Religionen?
A.M.: Na, die jeweiligen Menschen! In unseren jeweiligen eigenen Reihen die, die auf die Gegensätze pochen, obwohl die Gemeinsamkeiten überwiegen. Ich meine das nicht im Sinne eines Einheitsbreis, sondern das wirklich Gemeinsame: ein Gott, ein Offenbarungsglaube, Transzendenz, das Leben als eine Wegstrecke verstehen, die nach dem Tod nicht zu Ende ist. Das sind alles Gemeinsamkeiten, die etwas mit einem Menschen machen: Ich bin hier auf der Erde im Dienste Gottes und der Menschen. Aber es gibt eben leider auch die, die ihren Glauben nur in Abgrenzung von anderen definieren, dass sie den anderen Weg als den falschen darstellen und so ihre Identifikation schaffen. Das macht Unruhe und wirft uns immer wieder zurück.
M.K.: Ich würde nicht so sehr von Trennendem als von grundsätzlichen Unterschieden sprechen. Muslime sagen: Jesus war ein großer Prophet, dem ein größerer Prophet folgte. Wir als Christen glauben, dass Jesus Gottes Sohn ist, dass Jesus uns zeigt, wer und wie Gott ist – und Muhammed spielt in unserer Religion keine Rolle. Über diese Unterschiede zu reden, ist immer wieder spannend, heißt aber nicht, dass wir gegeneinander agieren müssen.
Welche Gefahren lauern in Ihrer Religion? Welche Chancen sehen Sie?
A.M.: Ich beobachte einen weltweiten Trend, beginnend z. B. mit Hans Küng, dass man auf die friedensstiftende Kraft in den Religionen setzt. Wir hatten noch nie so viele internationale Konferenzen mit dieser Ausrichtung wie in diesem und letzten Jahr – zuletzt die World Conference of Religions for Peace in Lindau. Wenn man vor ein paar Jahren über dieses friedensstiftende Potential der Religionen sprach, wurde man noch fragend angeschaut. Die Gefahren sehen wir jetzt in den globalen Konflikten, wenn die Religion politisch instrumentalisiert und ideologisiert, missbraucht wird. Dann kann die Religion eine große Gefahr darstellen. Dann führt sie zu Katastrophen, Mord und Totschlag, Bruder gegen Bruder, oft auch Muslim gegen Muslim.
M.K.: Oft wird gesagt, Religion sei ein Faktor, der Konflikte verschärft. Dagegen müssen wir angehen. An vielen Orten der Welt werden Konflikte auch entschärft durch Religion, wie eine Studie im Projekt Weltethos gezeigt hat. Religiös motivierte Vermittler wirken ganz oft auch friedensstiftend. In der Tat ist in jeder Religion der Fundamentalismus eine Gefahr. Wenn auf die einzige Wahrheit gepocht wird, werden andere herabgewürdigt. Ich habe meine Wahrheit über Gott gefunden, respektiere aber, dass andere Menschen andere Wege zu Gott für sich sehen.
Brauchen wir Religion im öffentlichen Leben und in der Politik?
A.M.: Im Gegensatz zu den 1980er Jahren, in denen man meinte, Religion ganz aus der gesellschaftspolitischen Verantwortung heraushalten zu müssen, hat man jetzt erkannt, wie wichtig sie für die internationale Verständigung sein kann. Man setzte auf Aufklärung. Heute weiß man, man muss gerade auch die Religionsgemeinschaften ansprechen.
M.K.: Es ist wichtig, dass Religion im Gespräch ist und nicht ins Abseits gerät oder in der privaten Nische gelebt wird, weil wir sonst solche Gespräche nicht mehr führen könnten.
Wie feiern Sie Weihnachten?
A.M.: Ich tue das z. B. mit dem Teil meiner christlichen Familie, also mit Verwandten, die mehr oder weniger religiös weihnachtliches Brauchtum pflegen. Ansonsten sind die Weihnachtstage für mich als Muslim schlicht ganz seltene Tage ohne irgendeine Verpflichtung und eine Ruhephase.
M.K.: Dieses Weihnachten predige ich nicht. Meine jüngste Tochter kommt nach Hannover, wir werden dort mit einer weiteren Tochter und deren Familie in den Gottesdienst gehen und traditionell Heiligabendfeiern.