Chatham IslandsDie die Sonne als erste aufgehen sehen

Die Chatham Islands liegen an der Datumsgrenze. Als Reformationsbotschafterin besuchte Margot Käßmann die einsame Insel und begrüßte zum Sonnenaufgang am 1. Januar 2017 zusammen mit dem dortigen Bischof mit einer Andacht das Jubiläumsjahr. „Die lutherischen Missionare brauchten sechs Monate auf Walfängerschiffen, bis sie hier ankamen …“

Landschaft
Die Chatham-Inseln, eine zu Neuseeland gehörende Inselgruppe im Südpazifik, sind Teil eines unterseeischen Gebirges. Die Zeitzone der Chathams liegt 45 Minuten vor der neuseeländischen Zeit; der Unterschied zur Weltzeit beträgt + 12:45 Stunden.© Andreas Helm

Zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums kam 2016 Mark Whitfield, der Bischof der lutherischen Kirche in Neuseeland, nach Berlin und Wittenberg. Wir trafen uns in einer Pizzeria und er sagte, auch seine Kirche wolle etwas beitragen zum großen Jubiläum. Viel Geld hätten sie nicht, aber die Chatham Islands. Die liegen an der Datumsgrenze und sind „the first to see the sun“, die ersten also, die an einem Tag die Sonne aufgehen sehen. Wie wäre es, wenn ich als Reformationsbotschafterin käme, wir bei Sonnenaufgang am 1. Januar 2017 eine Andacht zusammen halten, diese ins Internet stellen, und lutherische Gemeinden in aller Welt könnten sich anschließen und so das Jubiläumsjahr begrüßen?

Erst dachte ich: Oh nein, zu weit weg! Das Gegenargument von Mark Whitfield: Na, ich soll 2017 ja auch noch einmal nach Wittenberg kommen, genauso weit weg. Die Evangelische Kirche in Deutschland, der Verein r2017, der das Jubiläum vorbereitete, und die Gossner Mission, die einst die ersten Missionare von Berlin zu den Chatham Islands schickten, begrüßten das Projekt. Einige meckerten von wegen des Langstreckenfluges und der Klimafrage. Der neuseeländische Bischof konterte, dann dürften wir ihn auch nicht nach Wittenberg einladen. Zudem gleicht die evangelische Kirche seit Jahren Flüge ihrer Beschäftigten durch die Klimakollekte aus.

Also flog ich am 29. Dezember 2016 von Berlin über Frankfurt und Hongkong nach Auckland. Uff, ein wirklich langer, langer Flug. In Auckland gab es eine Übernachtung, am nächsten Morgen ging es wieder zum Flughafen, auf zu den Chatham Islands. Eine Gruppe von Mitgliedern der lutherischen Kirche traf sich, der Bischof mit Familie, andere, die für ihre Kirche dieses Ereignis feiern wollten. Eine kleine Propellermaschine brachte uns auf die Insel. Dort wurden wir von Ureinwohnern mit einem Ritual begrüßt. Die resolute Besitzerin des einzigen Hotels auf der Insel fuhr uns dann in waghalsiger Fahrt über staubige Pisten zur Unterkunft. Nach kurzem Abendessen falle ich ermattet ins Bett.

Um fünf Uhr morgens am 1. Januar 2017 stehe ich mit den Bischöfen der lutherischen Kirchen von Neuseeland und Australien an einem Strand auf den Chatham Islands. Mitternacht hatte ich verschlafen, um 3:30 Uhr fuhr der Bus. Für Selbstmitleid bestand allerdings keine Berechtigung. Die lutherischen Missionare der Gossner Mission aus Berlin haben sechs Monate auf Walfängerschiffen gebraucht, bis sie hier ankamen und an dieser Stelle ihr erstes Steinhaus gebaut haben. Unvorstellbar auch, dass 1843 drei Krankenschwestern der Berliner Charité von der Gossner Mission hinterhergeschickt wurden, damit die Männer gut lutherisch Familien gründen konnten. Ursprünglich waren es fünf Frauen, zwei sind abgesprungen, was ich gut verstehen kann. So konnten aber nur drei der Männer heiraten, einer blieb allein, der fünfte ging nach Neuseeland. Das waren harte Zeiten. Auch heute noch leben auf dieser Insel lediglich 600 Menschen und gefühlt sechshunderttausend Schafe.

Um uns blöken Schafe und springen Kiwis

Die Morgenandacht begann bei heftigem Wind mit dem Klang von Maori-Instrumenten und einer gesungenen Liturgie von Mark Whitfield. Von Südseeatmosphäre keine Spur! Um uns blöken Schafe und springen Kiwis herum. Harald Lehmann von der Gossner Mission und ich haben zur Erinnerung an diesen Tag einen Baum gepflanzt. Martin Luther hätte sich wohl kaum vorstellen können, dass seine Wittenberger Thesen Auswirkungen bis an diese Datumsgrenze haben könnten! Sonderlich erfolgreich waren die Missionare allerdings nicht, muss der Wahrheit halber gesagt werden. Aber mutig waren sie wie Luther, vom Glauben angetrieben, bis hierher zu kommen. Einige ihrer Nachfahren sind dabei, viele inzwischen gemischt über Ehen mit Maori oder Meiori. Immerhin: In aller Welt schlossen sich lutherische Gemeinden an und stellten ihren 2017-Sonnenaufgang ins Netz.

Einen Baum pflanzen zur Erinnerung an 500 Jahre Reformation: Mit Harald Lehmann von der Gossner Mission.
Einen Baum pflanzen zur Erinnerung an 500 Jahre Reformation: Mit Harald Lehmann von der Gossner Mission Foto: Andreas Helm