GroßelternDie Liebe zum Leben einpflanzen

Als sie vor 20 Jahren einen Brief an ihre Enkel schreiben sollte, war die Großmutter-Realität für Margot Käßmann noch weit entfernt. Nun holt sie den Brief erneut hervor und staunt über den wunderbaren Kreislauf des Lebens.

Die Liebe zum Leben einpflanzen
“Die eine Generation geht, die jüngste betritt das Spielfeld des Lebens. Das erscheint mir stimmig.”© Pexels

Vor zwanzig Jahren wurde ich gebeten, mich an einem Buchprojekt zu beteiligen: Verschiedenste Menschen sollten einen Brief an ihre Enkel schreiben. Ich habe das Buch jetzt noch einmal aus dem Regal geholt und sowohl ein bisschen gestaunt als auch mich gefreut. Gestaunt habe ich, dass ich in diesem Brief geschrieben habe, ich sei ganz sicher, eines Tages Enkelkinder zu haben. Meine älteste Tochter war damals 18, die jüngste acht. Ich habe geschrieben: „Warum bin ich mir so sicher, dass es Enkel geben wird? Weil ich die Liebe zum Leben eingepflanzt sehe in meine eigenen Kinder.“ Drei meiner Töchter haben inzwischen Kinder, sieben Enkel sind es derzeit insgesamt. Das Grundgefühl, das ich damals hatte, hat also nicht getrogen. Und doch kamen mir die Tränen, als meine älteste Tochter uns allen beim Festessen am Heiligen Abend 2011 verkündete, sie sei schwanger. Ich hätte nicht gedacht, dass mich die konkrete Nachricht dann doch so berührt.

Warum ist das wohl so? Ich denke, Enkel geben uns das Gefühl, dass sich der Kreislauf des Lebens schließt. Meine älteste Enkeltochter kam drei Jahre vor dem Tod meiner Mutter zur Welt. Bei der Beerdigung unserer Mutter waren meine Schwestern und ich alle schon Großmütter. Die eine Generation geht, die jüngste betritt das Spielfeld des Lebens. Das erscheint mir stimmig. Und wenn Menschen in einer großen Familie aufgewachsen sind, dann haben sie offenbar auch Lust, selbst wieder eine Familie zu gründen. Natürlich ist das nicht immer so. Viele Frauen, die gern Kinder hätten, können keine bekommen. Oder sie finden keinen Partner, der gern mit ihnen Kinder großziehen würde. Das ist dann bitter für sie. Aber auch für ihre Eltern, die vielleicht gern Großeltern wären. Trotzdem scheinen auch Frauen und Männer, die selbst erlebt haben, wie viele Konflikte und Streitereien es in Familien geben kann, die Lebensform Familie positiv zu schätzen.

Dabei müssen wir uns nichts vormachen: Die Zeit der Kindererziehung ist die Rushhour des Lebens. Kommt auch noch Berufstätigkeit hinzu – und das ist inzwischen ja auch in Westdeutschland Normalität –, dann entsteht ein immenser Druck, alles irgendwie zu schaffen. Da sind Großeltern anders, weil sie schlicht in einer anderen Lebensphase sind. Die Berufstätigkeit liegt meist hinter ihnen, sie sind durch ihre Lebenserfahrung gelassener. Und sie müssen die Enkel ja nicht erziehen. Das ist ein Standardsatz, ich weiß. Aber er hat sich für mich bewiesen. Ich merke sehr wohl, dass ich nicht mehr die Kraft habe, die ich als Mutter hatte. Da kann ein Tag mit Enkeln auch anstrengend werden. Aber wenn ich bei ihnen bin oder sie bei mir, dann ist das eine ganz intensive Zeit. Eine Mutter denkt beim Spielen daran, was noch alles zu tun ist. Eine Großmutter spielt dann – und sonst nichts.

Das spüren auch die Enkel. 3,5 Milliarden Betreuungsstunden durch Großeltern gibt es jedes Jahr in Deutschland. Das ist also eine sehr wichtige Beziehung, die da entsteht. Und wie es so schön heißt: „Großeltern sind für Enkel wie Urlaub von den Eltern.“ Da werden auch mal Regeln ausgesetzt und fünfe gerade sein gelassen. Mir macht es großen Spaß, mal etwas zu kaufen, was sonst nicht erlaubt ist, oder stets einen Vorrat an Gummibärchen zu haben. Das kann nicht schaden, denke ich. Und Kinder wissen sehr genau zu unterscheiden, dass das, was bei Omi möglich ist, zuhause nicht erlaubt wird.

Die Mutter meines Vaters verstarb, als ich fünf Jahre alt war, an sie habe ich nur eine sehr undeutliche Erinnerung. Beide Großväter hatten den zweiten Weltkrieg nicht überlebt. Aber an meine Großmutter mütterlicherseits erinnere ich mich gut. Sie kam jeden Tag zu uns und kochte das Mittagessen. Ich habe sie als fröhlichen Menschen im Gedächtnis, der gern Choräle sang. Und obwohl sie Schweres erlebt hatte, ihre Heimat in Hinterpommern verlassen musste, war sie insgesamt ein dankbarer Mensch, denke ich. Aber mit uns Kindern gespielt hat sie nie, soweit ich mich erinnere.

Meine eigene Mutter war als Großmutter enorm weitherzig. Ich war überrascht, wie sie die strengen Regeln unserer Kindheit gegenüber den Enkeln außer Kraft setzte. Meine Töchter durften etwa bei ihr „Baywatch“ gucken, eine Sendung die zuhause keinesfalls hätte geschaut werden dürfen. Und sie hatte immer Eiscreme und Schokolade vorrätig, wurde immer nachsichtiger, so schien es mir. Alle zehn Enkelkinder hatten eine gute Bindung zu ihr, das wurde bei ihrer Beerdigung deutlich.

Und zum Schluss will ich noch nachholen, was mich gefreut hat an dem fiktiven Brief vor 20 Jahren. Er endet mit einem Wunsch, den ich heute auch so weitergeben würde: „Möge die Liebe Gottes und die Liebe der Menschen dich stärken, damit du Kraft hast zum Leben. Gelassen, wo andere dich erniedrigen wollen. Mutig, wo die Würde eines Menschen in Frage gestellt wird. Liebesfähig mit Hingabe für andere. Und glücklich an den Dingen.“ Das kann für mich auch heute so stehenbleiben.