Die Rolle der Frauen gilt als Randthema der Reformation. Wer verbindet mit der Reformation Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer, Katharina Jonas oder Caritas Pirckheimer? Allenfalls Katharina von Bora, Luthers Ehefrau, ist einem breiteren Publikum ein Begriff. Dabei steht die Beteiligung der Frauen an der Reformation exemplarisch für ihre Inhalte.
Das hat Gründe. Erstens die Tauftheologie Martin Luthers. Wenn jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, Priester, Bischof und Papst ist, dann kann das auch jede getaufte Frau sein. Hier liegt der Schlüssel zum Respekt vor Frauen und in der Konsequenz die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern der Kirche. Auch wenn die Reformatoren sich diesen Schritt gewiss nicht denken konnten, ist er in ihrer Theologie angelegt. Das Priestertum aller Getauften schließt das Priestertum der Frauen ein. Zweitens wird mit dem Schritt zur Ehe das „Leben in der Welt“ aufgewertet. Die Eheschließung vormals zölibatär lebender Priester und Nonnen übersetzt die Grundüberzeugung, dass Leben im Kloster und Zölibat kein vor Gott in irgendeiner Weise „besseres“ Leben ist. Christsein bewährt sich mitten im Alltag der Welt, im Beruf, in der Familie, beim Regieren wie beim Erziehen der Kinder. Und das gilt für Männer wie für Frauen. Drittens beschränkt sich der reformatorische Bildungsimpetus nicht auf Jungen und Männer, sondern schließt Mädchen und Frauen ein. Die Volksschule soll in der Tat Schule für alle sein, alle sollen lesen lernen, damit sie je einzeln ihr Gewissen an der Schrift schärfen können. All das bedeutet eine ungeheure Aufwertung von Frauen und Frauenleben. Bildungsteilhabe und Bildungsgerechtigkeit waren reformatorische Themen und schlossen explizit Frauen mit ein.
Luthers Wertschätzung von Frauen hat sich bereits früh entwickelt, lange etwa vor der Heirat mit Katharina von Bora oder der Begegnung mit Argula von Grumbach. 1520/21 schreibt er in seiner Auslegung des Magnifikat (Lukas 1, 46ff.) voller Hochachtung über Maria: „Oh das ist eine große Kühnheit und ein großer Raub von solchem jungen, kleinen Mägdlein. Getraut sich, mit einem Wort alle Mächtigen schwach, alle Großtuenden kraftlos, alle Weisen zu Narren, alle Be rühmten zuschanden zu machen und allein dem einzigen Gott alle Macht, Tat, Weisheit und Ruhm zuzueignen.“
Exemplarisch möchte ich einige Frauen der Reformation nennen. Zum einen sind da die Pfarrfrauen. Für sie war die Heirat mit einem Pfarrer, in der Regel also mit einem ehemaligen Mönch, kein leichter Schritt. Sie wurden von den Altgläubigen verachtet. Es hieß, Kinder, die von einem ehemaligen Mönch und einer ehemaligen Nonne gezeugt wurden, werden mit Fehlbildungen zur Welt kommen. Mutige Frauen waren es also, die inhaltlich hinter ihren Männern stehen mussten, um den Anfeindungen ihrer Umwelt gegenüber Haltung zu bewahren.
Das gilt zuallererst für Katharina von Bora (1499–1552). Sie war gebildet, hat Luther Briefe geschrieben – die leider nicht erhalten sind. Aus seinen Briefen, in denen er auf sie eingeht, lassen sich allerdings Rückschlüsse ziehen. Selbst ehemalige Nonne, war sie gebildet in Lesen und Schreiben, wertgeschätzt als Gesprächspartnerin, Mutter, Geschäftsfrau, ja unentbehrlich, um das Leben im Schwarzen Kloster in Gang zu halten. Ebenfalls in Wittenberg spielt Katharina Melanchthon (1497–1557) eine große Rolle. Sie kam nicht aus dem Kloster, sondern war Tochter des Wittenberger Bürgermeisters. Luther selbst hatte 1520 die Trauung mit Philipp Melanchthon vollzogen. Auch die beiden großen oberdeutschen Reformatoren waren verheiratet. Anna Zwingli (um 1484–1538) war eine adlige Witwe mit drei Kindern, als sie Ulrich Zwingli 1522 heiratete. Idelette Calvin (1509–1549) stammte aus dem Kreis der französischen Flüchtlinge in Genf. Zu dieser Gruppe der Pfarrfrauen gehören auch Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth Bucer und Katharina Jonas. Vieles ist nicht bekannt über diese Frauen, keine Details, keine großen Biografien. Meist lassen sich lediglich über das Leben ihrer Ehemänner und deren Äußerungen Rückschlüsse auf ihr Leben ziehen.
Eine andere Kategorie sind die wenigen Frauen, die wie Elisabeth von Rochlitz eigene schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben. Herausragend unter ihnen ist zum einen Argula von Grumbach (1492– 1568). Sie wandte sich an den Rektor der Ingolstädter Fakultät, als dieser reformatorisches Schrifttum verbieten wollte, schrieb Flugschriften und diskutierte mit Luther selbst, als er anlässlich des Reichstages zu Worms Zeit auf der Feste Coburg verbrachte. Neben den Briefen von Elisabeth von Rochlitz sind von ihr die meisten Schriften von Frauen der Reformations zeit erhalten und bearbeitet. Auch Katharina Zell (um 1497–1562) hat Schriftliches hinterlassen. Aus einem Straßburger Patrizierhaus stammend wurde sie von Martin Bucer 1523 mit dem Priester Matthäus Zell vermählt. Nach Kritik an der Eheschließung schrieb sie einen Verteidigungsbrief an den Bischof ebenso wie ein Flugblatt an die Bürger von Straßburg. Auch ein kleines Liederbuch gab sie her aus. Elisabeth Cruciger (um 1504–1535), in Wittenberg mit dem Theologen Caspar Cruciger verheiratet, dichtete Kirchenlie der; eines ist bis heute im Evangelischen Gesangbuch erhalten: „Herr Christ, der einig Gotts Sohn“ (EG 67).
Nicht zuletzt sind die Fürstinnen zu nennen, die die Reformation entscheidend, auch politisch unterstützten. Dazu zählt Caritas Pirckheimer (1467–1532), die – obwohl dem reformatorischen Glauben zugewandt, alles tat, um als Äbtissin die Rechte von Konvent und Kloster einzufordern. Besonders nennen möchte ich Elisabeth von Calenberg. Durch ihre Mutter war sie mit dem reformatorischen Glauben in Berührung gekommen und führte nach dem Tod ihres Mannes die Reformation in Südniedersachsen ein. Dabei hielt sie eine schützende Hand über die Frauenklöster und Damenstifte und ließ ihr Vermögen sichern. Das hat Auswirkungen bis heute, denn in der hannoverschen Landeskirche gibt es auch aktuell 13 Frauenklöster und Damenstifte, deren Vermögen in der staatlich geführten Klosterkammer unabhängig gesichert ist.
Ja, das Priestertum aller Getauften zeigt sich gerade auch in der Beteiligung von Frauen – das ist zum Kennzeichen reformatorischer Kirchen geworden.