In einer Diskussion um Geschlechtergerechtigkeit sagte neulich ein Mann, die Frauen seien selbst schuld daran, dass sie so viel weniger verdienen. Schließlich würden sie in der Regel Berufe wählen, die schlecht bezahlt sind. Mich hat das geärgert, aber ich war nicht schnell genug, um angemessen zu reagieren. Denn die Situation ist ja komplex.
Es stimmt, Frauen wählen oft Berufe, die nicht gut bezahlt sind. Eine ambulante Pflegekraft etwa verdient im Schnitt 2400 Euro im Monat, ein Ingenieur 4700 Euro. Warum liegt der Anteil von Frauen in Berufen im Bereich Erziehung, Pflege, Hauswirtschaft bei 83 Prozent, bei der Maschinen- und Fahrzeugtechnik aber nur bei 11 Prozent? 9 von 10 Grundschullehrkräften sind Frauen, ihr Anteil bei Führungspositionen liegt bei 22 Prozent.
Viele erklären das damit, dass die klassischen Rollenbilder sich noch immer im Berufsleben abbilden. Aber wir könnten es ja auch so sehen: Frauen wählen noch immer Berufe, die auch eine soziale Komponente haben. Und es ist zu vermuten, dass diese Berufe schlecht bezahlt sind, weil sie mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden. Es ist ein Teufelskreis. Wäre Erzieherin oder Erzieher einer der bestbezahlten Berufe in unserem Land, würde der Männeranteil sofort steigen, weil Bezahlung Anerkennung bedeutet.
Es ist von der Vernunft her nicht zu verstehen, dass Care-Arbeit in unserem Land entweder gar nicht oder schlecht honoriert wird. Ich benutze bewusst den Begriff „honoriert“, denn es geht einerseits um schlechte Bezahlung, andererseits um mangelnde Anerkennung der Arbeit in Erziehung und Pflege, die überhaupt nicht bezahlt, aber ebenfalls größtenteils von Frauen geleistet wird. Viele Frauen arbeiten Teilzeit, weil sie Kinder oder Pflegebedürftige zu versorgen haben. Das wiederum wirkt sich massiv auf ihre Altersversorgung aus.
Wenn dieses Schema durchbrochen werden soll, braucht es zuallererst mehr Anerkennung für Care-Berufe. Es gibt da positive Tendenzen. Wurden Erzieherinnen früher belächelt nach dem Motto: So ein bisschen Kinderbetreuung kann doch jede, ist uns heute bewusst, wie entscheidend ihre Leistung ist. Der Ernst des Lebens fängt eben nicht erst mit der Schule an. Das muss sich auch in der Bezahlung spiegeln. Und neben der Bezahlung muss die Atmosphäre stimmen. Der ständige Druck, irgendwelchen Leistungsparametern zu genügen, zerstört genau die soziale Berufskomponente, die für viele die Berufswahl bestimmt hat. Eine medizinisch-technische Assistentin sagte mir neulich: „So macht das keinen Spaß mehr, Dauerdruck, keine Zeit für die Patienten, kein Teamgeist.“
Kurzum: Weniger Druck, mehr Anerkennung, bessere Bezahlung brauchen wir, damit Menschen sich gern in sozialen Berufen und der Care-Arbeit einbringen, die wir als Gesellschaft insgesamt mindestens genauso brauchen wie gute Ingenieurleistungen und Unternehmensführung. In diesen Zeiten wird uns gerade bewusst: Sie ist „systemrelevant.“
„Was will ich? Dienen will ich. Wem will ich dienen? Dem Herrn in seinen Elenden und Armen. Und was ist mein Lohn? Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist, dass ich dienen darf.“ Wilhelm Löhe, der fränkische Diakoniker, schrieb diesen Satz einer 15-Jährigen in ihr Poesiealbum. Er dient Diakonissen bis heute als Wahlspruch – und wurde doch so oft benutzt, um sie in ihrer Leistung auszunutzen.