Starke Frauen finden wir schon in der Bibel. Kennt fast niemand mehr, aber sie sind da. Denken wir an Schifra und Pua, zwei Hebammen, die neugeborene jüdische Jungen töten sollten und das durch eine ziemlich clevere List umgingen. Oder Ruth und Naomi, ein Vorbild für solidarische Frauenfreundschaft. Miriam, die voranging und die Pauke schlug, steht für Mut; Maria, die sich der Botschaft des Engels anvertraute, ist mir ein Vorbild in Vertrauen. Lydia zeigt Leitungskompetenz. Und die kanaanäische Frau aus Matthäus 15 ist mir ein Vorbild als Lehrerin. Jesus hat sich Frauen, etwa der Frau am Brunnen wie auch der blutflüssigen Frau, vorbehaltlos zugewendet. Er hat Susanna und Maria von Magdala in die Nachfolge gerufen. Er hat die Frauen nach der Auferstehung unmittelbar in die Verkündigung gesandt. Die christlichen Kirchen müssten also vehemente Streiterinnen für Frauenrechte sein.
Aber so leicht ist die Sache nicht. Noch 2016 habe ich mit Kardinal Brandmüller diskutiert und gesagt, Frauen wurden in der Kirchengeschichte oft verschwiegen. Schon die Apostelin Junia wurde einfach zu Junias umgewandelt. „Wo wollen Sie das denn herhaben?“, fragte er. Aber siehe da, die Heilige Geistkraft wirkt: Sowohl in der revidierten Lutherübersetzung 2017 als auch in der neuen Fassung der römisch-katholischen Einheitsübersetzung ist sie jetzt da, die Junia! Nachzulesen im Römerbrief 16, 17.
Das vergangene Jahrhundert war für uns protestantische Theologinnen in Deutschland ereignisreich. Am Beispiel meiner hannoverschen Landeskirche: Ab 1900 konnten Frauen auch Theologie studieren. 1930 findet sich ein Kirchengesetz über die Anstellung von Pfarramtshelferinnen. Das Kirchengesetz über die Dienstverhältnisse von Vikarinnen aus dem Jahr 1955 beschreibt dieses als Unterstützung des Pfarramtes, insbesondere zur geistlichen Betreuung von Frauen und Kindern. Als ich selbst 1983 Vikarin wurde, sagte mir noch ein Mann, „unter“ der Kanzel zu sitzen, wenn eine Frau predigt, sei eine Zumutung.
In der hannoverschen Landeskirche beinhaltet das Kirchengesetz über die Rechtsstellung der Pastorinnen 1963 die Verleihung des Rechtes zur öffentlichen Wortverkündigung und zur Sakramentsverwaltung. Sollte aber eine Pfarrstelle tatsächlich durch eine Pastorin versehen werden, bedurfte es der Zustimmung des Kirchenvorstandes. Mit der Eheschließung endete das Dienstverhältnis und die Anstellungsfähigkeit. Warum? Theologische Faktoren gab es nicht. Ich nehme an, es hatte etwas mit Vorstellungen von Unreinheit durch – selbstverständlich eheliche! – Sexualität zu tun. Als ich die erste Frau kennenlernte, die in der lutherischen Kirche Sambias ordiniert wurde, erzählte sie, dass sie heiraten musste, um ordiniert zu werden. Nach afrikanischer Vorstellung sollten so ihre Triebe gelenkt werden.
Die völlige Gleichstellung von Frauen im Amt erfolgte erst 1978. Da studierte ich schon Theologie und wusste das zum Glück nicht. Nach dem Vikariat wollte ich mir mit meinem Mann eine Stelle teilen. Ehepaare bekamen nur eine „Alimentation“, wie es hieß. Die Landeskirche drängte darauf, dass mein Mann die ganze Stelle übernahm. Ich war mit Zwillingen schwanger und die Vorstellung, als dreifache Mutter eine halbe Pfarrstelle zu versehen, fand man schwierig. Ich hätte doch alle Freiheit, in der großen Gemeinde ehrenamtlich mitzuarbeiten. Aus lauter Trotz habe ich erst einmal promoviert.
Als ich Generalsekretärin des Kirchentages werden sollte, hat das Präsidium nicht etwa über meine theologische Kompetenz diskutiert, sondern über meine vier Kinder. Den Höhepunkt erreichte das, als ich als Landesbischöfin kandidierte. Einer meiner Vorgänger stellte sich vor die Synode und bat sie, mich nicht zu wählen, um so meine Kinder zu schützen. Der Gegenkandidat hatte fünf Söhne, das interessierte niemanden. Als mein Mann und ich uns acht Jahre später scheiden ließen, hieß es, das habe man ja kommen sehen… Meine Kirche wählte mich – eine geschiedene Frau und Mutter von vier Kindern – trotzdem zur Ratsvorsitzenden der EKD. Das rechne ich ihr hoch an. Die russisch- orthodoxe Kirche brach daraufhin die Beziehungen zur EKD ab, weil sie sich mit meiner Wahl auf den westlichen Zeitgeist eingelassen habe.
Die neue Bewegung „Maria 2.0“ in der römisch-katholischen Kirche finde ich eine großartige Initiative. Deren Initiatorinnen treten für den Zugang von Frauen zu allen Ämtern der Kirche, die Aufhebung des Pflichtzölibats und die umfassende Aufklärung von sexuellem Missbrauch durch Priester ein. Es gibt keine theologischen Gründe, die gegen die Frauenordination sprechen, allenfalls die Tradition. Tradition ist gut, wenn sie Menschen beheimatet. Aber sie muss verändert werden, wenn sie Menschen ausgrenzt! Es wird Zeit, dass Frauen endlich öffentlich die Kirchen repräsentieren, aber auch die anderen Religionsgemeinschaften, das Judentum, den Islam. Wenn wir uns die Geschichte von Jesus Christus anschauen, sehen wir, dass er andere begeistert hat. Er beeindruckte durch sein Gottvertrauen, seine Liebe zu den Menschen, seine Kreativität, seine offensichtliche innere Freiheit. Wir brauchen kraftvolle, Grenzen überschreitende Fantasie in unseren Kirchen, in den Religionen, aber auch in Parteien, Politik, Kultur, Wirtschaft. Wie sonst sollen denn die Herausforderungen bewältigt werden mit Blick auf Klima, Unrecht, Terrorismus und Krieg? Für mich war mein Glaube nie eine Einengung, sondern immer Ermutigung, frei zu denken und widerständig zu handeln. Die Freiheit eines Christenmenschen kann dazu befähigen, mit anderen, die aus anderen Motiven dieselben Ziele haben, genau diese zu verfolgen. Diese Freiheit im Denken gilt auch für Gottesbilder. Da fragt ein Priester den Kollegen, der eine Nahtoderfahrung hatte: „Hast du Gott gesehen?“ Der antwortet: „Ja, sie ist schwarz!“