Erinnern Sie sich an die Schöpfungsgeschichte in der Bibel? Adam und Eva leben nackt und sorglos im Paradies, so wird es erzählt. Bis die Schlange verführerisch fragt: Warum solltet ihr nicht von den Früchten dieses Baumes essen? Eva gibt der Versuchung nach, Adam anschließend eben so. Warum auch nicht? So ein kleines Risiko macht das Leben doch spannend... Ganz offensichtlich verändert der Genuss des Apfels aber etwas. Eva und Adam schämen sich, sie verstecken sich. In der Tradition wird das so gedeutet, dass sie ihre Nacktheit erkennen und sich plötzlich verhüllen wollen. Das wurde ein gutes Argument dafür, Nacktheit und Sexualität mit Scham zu belegen.
In unseren Breitengraden ist Nacktheit nicht wirklich an der Tagesordnung, von FKK-Stränden und RTLShows mal abgesehen. Das ist wohl auch eine Frage des Klimas. Aber es führte zu unsinnigen Folgeerscheinungen. Vor einigen Jahren habe ich Hermannsburg in Südafrika besucht. Vor allem ist mir ein Foto in Erinnerung geblieben. Da steht eine junge Frau aus dem Hermannsburg in der Lüneburger Heide gehüllt in Haube, schwarzes Kleid mit vielen Unterröcken neben einer jun gen Südafrikanerin, die bis auf einen Lendenschurz nackt ist. Was für ein Gegensatz! Die Missionare versuchten, die Einheimischen zum christlichen Glauben zu bekehren. Wer als bekehrt galt, wurde getauft. Und Zeichen der Taufe war, dass eine den ganzen Körper bedeckende Kleidung getragen wurde. Wirklich sinnvoll war Ganzkörperverhüllung unter den klimatischen und hygienischen Bedingungen in Südafrika nicht. Aber Christsein und Nacktheit schlossen sich definitiv aus. Getaufte sollten ihren Körper so weit wie möglich verhüllen.
Die Frage mit Blick auf Adam und Eva ist: Schämten sie sich wirklich wegen ihrer Nacktheit? Oder nicht doch eher wegen ihrer Lüge? Das Vertrauen Gottes in sie wurde missbraucht, das ist der zentrale Punkt, nicht die Nacktheit. Da ist Scham sogar berechtigt.
Wer einmal erlebt hat, dass ein anderer das Vertrauen, das du in ihn gesetzt hast, bricht, weiß, wie tief ein solcher Bruch sitzt. Er tut unendlich weh, erschüttert. Gebrochenes Vertrauen lässt sich nur sehr selten wiederherstellen!
Dass Scham in der Tradition der Paradiesgeschichte so sehr mit Sexualität verbunden wurde, ist eine Tragik der Kirchengeschichte! In der evangelischen Kirche in Deutschland hat es bis 1972 gedauert, bis es endlich in einer Denkschrift hieß: „Sexualität ist eine gute Gabe Gottes“! Sexualitätsfeindlichkeit wurde in Ableitung aus der Paradiesgeschichte geradezu zum Kennzeichen des Christentums. Versuchung, Verführung und Sünde wurden ganz und gar mit Sexualität verbunden, und das in der Regel zu Lasten der Frau en, die mit Eva doch nur klug sein wollten. In der Eifel wurde mir kürzlich erzählt, dass Frauen, die bei der Eheschließung schwanger waren, in Schwarz vor den Traualtar treten mussten, damit alle Welt ihre Schande sehe. Wie grau sam ist das denn? Und warum durfte der Bräutigam unbescholten dort stehen?
Halten wir fest: Grund zur Scham sind nach der Paradiesgeschichte nicht Nacktheit oder Sexualität. Der Sündenfall besteht vor allem in dem Vertrauensbruch. Es ist die Versuchung, selbst wie Gott zu sein, die Scham auslöst.