Ein junges Paar ist seit einigen Jahren verheiratet, sie haben zwei Kinder bekommen, ein Haus gekauft, alles scheint gut. Da findet die Frau durch einen Zufall heraus, dass ihr Mann auf einer Dienstreise mit einer Kollegin geschlafen hat. Von einem Augenblick auf den anderen ist das gesamte Lebenskonzept in Frage gestellt. Sie kann nicht fassen, dass er das getan hat. Er hat sie aktiv angelogen! Er bereut seinen Fehltritt zutiefst und bittet sie, ihm wieder zu vertrauen. Aber sie kann es nicht, sie kommt sich naiv vor, dass sie ihm so sehr vertraut hat.
Das ist eine furchtbare Situation. Wer einmal erlebt hat, dass ein anderer Mensch das Vertrauen, das du in ihn gesetzt hast, bricht, weiß, wie tief ein solcher Bruch sitzt. Er tut unendlich weh, erschüttert. Wir vertrauen ja in der Regel Menschen, die uns nahe stehen in der Familie oder im Freundeskreis. Gebrochenes Vertrauen lässt sich nur sehr selten wiederherstellen!
Vor kurzem habe ich über die Paradiesgeschichte gepredigt. Mir wurde bei der Vorbereitung das erste Mal deutlich, dass der Sündenfall von Adam und Eva, der beschrieben wurde, letzten Endes auch ein großer Vertrauensbruch ist.
Eva nimmt den Apfel vom Baum und beißt hinein. Damit überschreitet sie eine vorgegebene Regel. Was sie damit vor allem tut: Sie bricht das Vertrauen Gottes in sie. Und sie selbst vertraut ja auch Gott nicht mehr. Die Schlange hatte gesagt: „Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: An dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ Das Paradies endet also, weil Vertrauen gebrochen wurde.
Wir haben aber Sehnsucht danach, anderen Menschen zu vertrauen, uns anzuvertrauen. Das ist auch gut so. Wer wollte in einer Welt voller Misstrauen leben? Wenn ein Paar sich verliebt, vertraut es sich nach und nach mehr über das eigene Innere, die Gefühle, auch die eigene Vergangenheit an. So wächst Vertrauen ja auch in einer Freundschaft. Es braucht Zeit, entsteht nicht von Heute auf Morgen, aber es kann in einem Augenblick zerstört werden.
Wie gehen wir damit um? Zum einen sollten wir uns alle bewusst machen, das Vertrauen ein hohes Gut ist, das es zu schützen gilt. Mir ist wichtig, anderen gegenüber wirklich über das zu schweigen, was wieder andere mir anvertraut haben. Manchmal erliegen Menschen aber aus Geschwätzigkeit der Versuchung, doch weiterzuerzählen, was nicht zur Verbreitung gedacht war. Das ist verzeihlich, denke ich.
Und wenn wir selbst einen Vertrauensbruch erlitten haben? Wir können versuchen, dem Menschen, der ihn begangen hat, wieder zu vertrauen. Aber nach meiner Erfahrung bleibt da stets ein innerer Vorbehalt: Wird er es wieder tun? Das sollte uns jedoch nicht daran hindern, anderen neu zu vertrauen. Denn auch wenn unsere Welt nicht das Paradies ist – in einer Welt ohne Vertrauen ließe es sich schwer leben. Das gilt nicht nur für den privaten Bereich, sondern auch für die Politik. Dieser ständige Vorbehalt, alles könnte gelogen sein nur um des eigenen Machterhalts willen, zerstört die Grundlagen der Demokratie. Das gilt auch für den dauernden Verdacht, Medien würden nur noch „Fakenews“ verbreiten. Auch die Wirtschaft braucht Vertrauen. Wenn eine Firma wie VW bewusst betrogen hat, stellt sie ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
Trotz aller Erfahrung gilt es, Vertrauen immer wieder neu zu wagen, gerade in Zeiten von Corona. Es macht das Leben und unsere Gemeinschaft im Land erst lebenswert. Der Jenaer Theologieprofessor Klaus-Peter Hertzsch hat das wunderbar in Worte gefasst in einem Lied, das er zur Taufe seines Patenkindes dichtete, das den Weg aber längst bis in unsere Gesangbücher geschafft hat:
Vertraut den neuen Wegen, / auf die uns Gott gesandt! / Er selbst kommt uns entgegen. / Die Zukunft ist sein Land. / Wer aufbricht, der kann hoffen / in Zeit und Ewigkeit. / Die Tore stehen offen. / Das Land ist hell und weit.